Die betriebliche Krankenversicherung steht 2026 vor einer Zäsur.
Während einige Versicherer wie die Gothaer ihre Beiträge um bis zu 50 Prozent erhöhen, bleiben andere wie die Hallesche seit sieben Jahren beitragsstabil. Diese extremen Unterschiede zwingen Unternehmen zu schnellen Entscheidungen, denn bei Überschreitung der 50-Euro-Sachbezugsgrenze drohen erhebliche steuerliche Nachteile.
Die kommenden Monate werden zeigen, welche Anbieter ihre Kalkulationen im Griff haben und welche Unternehmen rechtzeitig die Reißleine ziehen.
bKV-Beitragserhöhung in 2026: Wie entwickeln sich die Beiträge?
Die Beitragsentwicklung in der betrieblichen Krankenversicherung zeigt 2026 ein gespaltenes Bild, das von extremen Verwerfungen geprägt ist. Die Gothaer Krankenversicherung AG schockt den Markt mit Beitragserhöhungen von bis zu 50 Prozent für ihre Budgettarife FlexSelect Premium und FlexSelect XL.
Diese drastische Anpassung zum 1. Januar 2026 begründet der Versicherer mit wirtschaftlichen Zwängen und gibt offen zu, dass die Tarife „nicht kostendeckend kalkulierbar“ seien. Betroffen sind vor allem arbeitgeberfinanzierte Budgettarife, die ohne Leistungsbegrenzungen (Sublimits) konzipiert wurden und dadurch eine höhere Inanspruchnahme erfahren haben als ursprünglich kalkuliert.
Im krassen Gegensatz dazu steht die Hallesche Krankenversicherung, die mit ihrem FEELfree-Budgettarif seit der Einführung 2018 konstante Beiträge aufweist. Der Tarif mit 300 Euro Gesundheitsbudget kostet unverändert 9,95 Euro monatlich, bei 600 Euro sind es 19,90 Euro. Diese siebenjährige Beitragsstabilität zeigt, dass nachhaltige Kalkulation möglich ist, wenn von Anfang an realistische Annahmen getroffen werden.
Der Münchener Verein geht einen ähnlichen Weg und bietet sogar eine Beitragsgarantie bis Ende 2026 für alle Neuabschlüsse an.
Beitragsübersicht der wichtigsten bKV-Anbieter
| Versicherer | Tarif / Budget | Beitrag 2025 | Erhöhung |
|---|---|---|---|
| Gothaer | FlexSelect Premium (300 €) | 15,65€ | 50 % |
| FlexSelect XL (500 €) | 18,59€ | 50 % | |
| Hallesche | FEELfree (300 €) | 9,95 € | 0 % |
| FEELfree:up (600 €) | 19,90 € | 0 % | |
| Allianz | MeineGesundheit (300 €) | ca. 13,90 € | 0 % |
| AXA | FlexMed easy Plus (300 €) | ca. 15 € | 9 % |
| Continentale | Budget (300 €) | ca. 16 € | 16 % |
| Barmenia | WellYou (300 €) | ca. 18 € | 10 % |
| Nürnberger | BudgetSelect (300 €) | 10,60 € | 12,3 % |
Die Allianz Private Krankenversicherung hat im April 2025 ihr neues bKV-Konzept „MeineGesundheit“ eingeführt und bietet zunächst eine Beitragsgarantie bis 2026. Die neue Tarifstruktur bietet flexible Budgets zwischen 300 und 1.500 Euro mit separaten „Extratöpfen“ für Sehhilfe und Zahn außerhalb des Grundbudgets. Diese Struktur soll transparentere Kosten und bessere Kalkulierbarkeit ermöglichen.
Signal Iduna zeigt ein differenziertes Bild: Während einige Tarife wie Ambulant+AN und ZahnPerfekt+AN stabil bleiben, werden andere Tarife um 5 bis 10 Prozent angepasst. Der Versicherer begründet dies mit den verhältnismäßig hohen Steigerungen bei den Leistungsausgaben, die der gesamte PKV-Markt 2024 verzeichnet hat. Die AXA kündigt eine durchschnittliche Erhöhung von 9 Prozent an, während die Continentale mit bis zu 16 Prozent zu den Versicherern mit stärkeren Anpassungen gehört.
Die Ursachen für die unterschiedlichen Entwicklungen sind vielschichtig. Der medizinische Fortschritt treibt die Kosten: Neue Therapien, Medikamente und Diagnoseverfahren werden immer teurer.
Ein extremes Beispiel zeigt die Entwicklung bei der Gürtelrose-Impfung, deren Ausgaben von 8,3 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 108,8 Millionen Euro im Jahr 2023 explodierten. Die Ausgaben für allgemeine Krankenhausleistungen stiegen 2024 um über 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die pflegerische Versorgung verteuerte sich zwischen 2021 und 2023 sogar um 37,5 Prozent je Pflegetag im Krankenhaus.
Der demografische Wandel verschärft die Situation zusätzlich. Die Lebenserwartung von Frauen stieg von 68,5 Jahren im Jahr 1950 auf 83,4 Jahre im Jahr 2020 – fast 15 zusätzliche Lebensjahre mit entsprechend höherer Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Diese alternde Bevölkerung führt zu kontinuierlich steigenden Gesundheitskosten, die sich in den Beiträgen niederschlagen müssen.
Welche steuerlichen Auswirkungen haben die Beitragserhöhungen?
Die steuerlichen Konsequenzen der Beitragserhöhungen können für Unternehmen und Arbeitnehmer dramatisch sein.
Der entscheidende Punkt ist die 50-Euro-Sachbezugsfreigrenze nach § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG. Diese Grenze ist keine Freigrenze im eigentlichen Sinne, sondern eine harte Grenze: Wird sie auch nur um einen Cent überschritten, wird der gesamte Betrag lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtig.
Bei einem Arbeitnehmer mit Steuerklasse I und einem Bruttogehalt von 3.500 Euro bedeutet die Überschreitung der 50-Euro-Grenze zusätzliche Kosten von etwa 25 Euro monatlich für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag sowie rund 20 Euro für Sozialversicherungsbeiträge. Der Arbeitgeber zahlt zusätzlich etwa 10 Euro Sozialversicherungsbeiträge. Aus einem steuerfreien Benefit von 50 Euro werden so schnell Gesamtkosten von über 100 Euro.
Steuerliche Auswirkungen bei Überschreitung der 50-Euro-Grenze
| Situation | bKV-Beitrag | Steuerliche Behandlung | Zusatzkosten Arbeitnehmer | Zusatzkosten Arbeitgeber |
|---|---|---|---|---|
| Unter Freigrenze | 49,99 € | Steuerfrei | 0 € | 0 € |
| Grenzüberschreitung | 50,01 € | Voll steuerpflichtig | ca. 45 € | ca. 10 € |
| Gothaer nach Erhöhung | ca. 55 € | Voll steuerpflichtig | ca. 50 € | ca. 11 € |
| Hallesche 1.500 € Budget | 56,03 € | Voll steuerpflichtig | ca. 51 € | ca. 11 € |
Besonders kritisch wird die Situation für Unternehmen, die bisher knapp unter der 50-Euro-Grenze lagen.
Die Gothaer-Tarife FlexSelect Premium und XL werden durch die 50-Prozent-Erhöhung definitiv über die Grenze rutschen. Unternehmen müssen schnell handeln: Entweder sie wechseln zu einem günstigeren Anbieter, reduzieren das Gesundheitsbudget oder akzeptieren die steuerlichen Nachteile.
Eine Alternative bietet die Pauschalversteuerung nach § 40 Abs. 1 EStG, die jedoch nur bei einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern (mindestens 20) sinnvoll ist und zusätzlichen administrativen Aufwand bedeutet. Die Umstellung von Sachbezug auf Barlohn ist eine weitere Option, bedeutet aber den Verlust der steuerlichen Privilegierung und macht die bKV für Arbeitnehmer weniger attraktiv.
Die steuerlichen Auswirkungen gehen über die direkten Kosten hinaus. Bei Überschreitung der Freigrenze müssen Unternehmen ihre Lohnbuchhaltung anpassen, neue Lohnabrechnungen erstellen und die Mitarbeiter über die veränderte Nettosituation informieren. Dies kann zu erheblicher Unzufriedenheit führen, wenn Mitarbeiter plötzlich weniger Netto vom Brutto haben, obwohl sie eigentlich einen Benefit erhalten.
Warum steigen die bKV-Beiträge bei der Gothaer so stark an?
Die extremen Beitragserhöhungen der Gothaer von bis zu 50 Prozent haben systematische Ursachen, die tief in der Kalkulationsstrategie und Produktgestaltung verwurzelt sind. Die betroffenen Tarife FlexSelect Premium und FlexSelect XL wurden als offene Budgettarife ohne Sublimits konzipiert.
Das bedeutet: Mitarbeiter konnten ihr gesamtes Jahresbudget theoretisch für eine einzige Leistungsart ausgeben, etwa 1.000 Euro komplett für Sehhilfen, statt der branchenüblichen Begrenzung auf 200 bis 300 Euro.
Diese aggressive Markteintrittsstrategie sollte neue Kunden durch besonders attraktive Konditionen gewinnen. Die Gothaer kalkulierte mit einer Budgetausschöpfung von 60 bis 70 Prozent, tatsächlich lag sie aber bei 80 bis 90 Prozent. Der Versicherer räumt mittlerweile offen ein, dass die Tarife „nicht kostendeckend kalkulierbar“ sind – ein bemerkenswertes Eingeständnis eines Kalkulationsfehlers.
Gothaer vs. Hallesche: Vergleich der Kalkulationsstrategien
| Gothaer (gescheitert) | Hallesche (erfolgreich) | |
|---|---|---|
| Budgetausschöpfung kalkuliert | 60–70 % | 85 % |
| Tatsächliche Ausschöpfung | 80–90 % | 80–85 % |
| Sicherheitspuffer | 5–10 % | 15–25 % |
| Sublimits | Keine | Vorhanden bei kritischen Leistungen |
| Inflationsannahme | 2–3 % jährlich | 6–8 % jährlich |
| Markteinführung | Aggressiv mit Niedrigpreisen | Konservativ mit nachhaltigen Preisen |
Der Vergleich mit der Hallesche zeigt den fundamentalen Unterschied in der Herangehensweise.
Die Hallesche führte 2018 als erste einen Budgettarif ein und sammelte über Jahre Erfahrungswerte zur tatsächlichen Inanspruchnahme. Diese Daten ermöglichten eine realistische Kalkulation von Anfang an. Die Hallesche kalkulierte mit 85 Prozent Budgetausschöpfung und lag damit sehr nah an der Realität. Zusätzlich baute sie einen Sicherheitspuffer von 15 bis 25 Prozent ein und berücksichtigte eine jährliche Kostensteigerung von 6 bis 8 Prozent.
Ein weiterer kritischer Faktor ist die sofortige Erlebbarkeit von Budgettarifen. Anders als klassische Tarife mit Wartezeiten können Mitarbeiter das Budget sofort nach Vertragsabschluss nutzen. Dies führt zu „Mitnahmeeffekten“: Aufgeschobene Behandlungen werden unmittelbar nach Einführung der bKV nachgeholt. Bei einem 300-Euro-Budget liegt die durchschnittliche Ausschöpfung bei 70 Prozent, bei 600 Euro bereits bei 85 Prozent und bei Budgets über 1.000 Euro bei über 90 Prozent.
Die demografische Struktur der versicherten Unternehmen spielt ebenfalls eine Rolle. In Unternehmen mit einem Durchschnittsalter über 45 Jahren liegt die Budgetausschöpfung um 15 bis 20 Prozent höher als in jüngeren Teams. Die Gothaer hatte offenbar diese altersbedingten Unterschiede nicht ausreichend berücksichtigt.
Die fehlende Risikoselektion verschärft das Problem. Alle bKV-Tarife verzichten auf Gesundheitsprüfungen, was grundsätzlich sozial erwünscht ist. Konservative Anbieter kalkulieren jedoch mit „adverse selection“ – dem Phänomen, dass Menschen mit schlechteren Gesundheitsrisiken Versicherungen überproportional nutzen. Die Gothaer ging hingegen von Durchschnittsrisiken aus.
Fazit: „Die Gothaer-Krise markiert einen Wendepunkt in der bKV – weg von aggressiven Lockangeboten, hin zu nachhaltiger Kalkulation und langfristiger Beitragsstabilität“
Die Beitragsentwicklung 2026 offenbart die Zweiteilung des bKV-Marktes. Auf der einen Seite stehen Versicherer wie die Gothaer mit Beitragsexplosionen von bis zu 50 Prozent, die das Vertrauen in die betriebliche Krankenversicherung erschüttern. Auf der anderen Seite beweisen Anbieter wie die Hallesche mit sieben Jahren Beitragsstabilität, dass nachhaltige Kalkulation möglich ist.
Für Unternehmen bedeuten die Entwicklungen konkrete Handlungszwänge. Bei Überschreitung der 50-Euro-Sachbezugsgrenze drohen Zusatzkosten von über 50 Euro pro Mitarbeiter und Monat. Ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern zahlt dann plötzlich 5.000 Euro monatlich mehr – ohne dass die Mitarbeiter einen Mehrwert erhalten. Der sofortige Anbieterwechsel kann diese Kostenfalle vermeiden.
Die unterschiedlichen Kalkulationsstrategien zeigen sich nun in aller Deutlichkeit. Während die Hallesche von Anfang an mit realistischen 85 Prozent Budgetausschöpfung kalkulierte, setzte die Gothaer auf optimistische 60 bis 70 Prozent. Diese Fehlkalkulation rächt sich nun mit drastischen Nachforderungen. Der Markt wird diese Lektion nicht vergessen.
Die Zukunft der betrieblichen Krankenversicherung liegt in nachhaltiger Kalkulation, transparenten Leistungsstrukturen und langfristiger Planungssicherheit. Unternehmen sollten bei der Anbieterwahl nicht auf den günstigsten Einstiegspreis achten, sondern auf die Kalkulationsphilosophie des Versicherers. Die Gothaer-Krise wird als mahnendes Beispiel in die Geschichte der bKV eingehen und hoffentlich zu einem reiferen, stabileren Markt führen.